Arnsberg. Von der Internet-Steinzeit direkt in die Neuzeit. Dieser Sprung ist in Arnsberg auf dem Alten Markt, dem Steinweg und dem Neumarkt gelungen. Nach sechswöchiger erfolgreicher Probezeit ist das freie WLAN dort jetzt auch offiziell an den Start gegangen. Ermöglicht haben dieses deutschlandweit aufsehenerregende und in dieser Form wohl einmalige Projekt der Verkehrsverein Arnsberg und Freifunk Rheinland mit Unterstützung der Stadt Arnsberg.
Bürgerschaftliche Organisation überzeugt Bürgermeister
Auch Bürgermeister Hans-Josef Vogel überzeugte sich am Freitag selbst, wie man problemlos mit zwei Klicks ins weltweite Netz kommt. Auf dem Smartphone oder Tablet auf WLAN drücken und dann auf Freifunk – und schon ist man im Internet, kostenlos und zeitlich unbegrenzt, ohne Registrierung oder Passwort. Für Vogel ist dieses kostenlose Internet „ein Bürgerrecht wie das Autofahren auf der Straße“. Er findet es großartig, dass das, was für ihn im Urlaub in Italien, Österreich oder den Niederlanden längst selbstverständlich ist, nun auch in der Arnsberger Altstadt möglich ist und auch den vielen ausländischen Touristen angeboten werden kann, die so hohe Internetgebühren sparen können. Aber auch die einheimischen Gastronomiebesucher und die vielen jungen Leute von den umliegenden Schulen sieht der Bürgermeister als wichtige Zielgruppen. Überzeugend findet Vogel auch die Idee, das freie WLAN-Netz bürgerschaftlich zu organisieren im Sinne einer Sharing Economy, in der jeder etwas einbringt. Er ermutigte dazu, die Idee weiterzuspinnen und sagte auch weiterhin die Unterstützung der Stadt zu. „Das ist genial, das Netz wächst von selbst,“ sagt Vogel.
Auf dem Weg zur Nummer eins
Die Unterstützung der Stadt für ein bürgerschaftliches Netz ist nicht selbstverständlich. In Berlin etwa sei dies nicht der Fall, weiß Daniel Wagner. Der Informatiker, der als Pirat seit zwei Monaten auch im Arnsberger Rat sitzt, hält die Kontakte zur Freifunkerbewegung, die nach der Wende in Berlin entstand, weil Westberliner vom damals deutlich schnelleren Netz im Ostteil der Stadt profitieren wollten. Über Freifunk und zwei Server in den Niederlanden umgeht das Arnsberger WLAN-Netz die in Deutschland noch geltende Störerhaftung, die ein solches Projekt noch sehr erschwert, die die Bundesregierung allerdings abschaffen will. Derzeit habe Berlin noch die größte Freifunker-Community, so Wagner, doch wenn Arnsberg weiter so schnell wachse wie bisher, könne es schon bald die Nummer eins sein.
„Keiner kann das Netz abschalten, einfach cool!“
Auch Hans-Jörg Etzler, Hörgeräteakustiker vom Steinweg, der das Projekt als Vorstandsmitglied des Verkehrsvereins vorantreibt, ist von der Dynamik der Entwicklung sichtlich beeindruckt. „Wir sind mit offenen Armen aufgenommen worden, die Leute sind hellauf begeistert,“ schwärmt er. 70 Router hat er vor sechs Wochen zwischen Glockenturm und Neumarkt aufgestellt, in Schaufenstern von Geschäften, in Lokalen und Privatwohnungen. Fast alle an der Meile haben mitgemacht, so dass ein dichtes und stabiles Netz geknüpft werden konnte. Schon in der Probephase hatte sich das neue Angebot schnell herumgesprochen. So waren an den letzten Schultagen mittags nach Schulschluss an den Bushaltenstellen rund um den Neumarkt teils über 100 User gleichzeitig online, am Abend des WM-Endspiels sogar rund 200. Eine Bewährungsprobe hat das Freifunk-Netz auch am Donnerstag bestanden, als der Bruch eines Breitbandkabels Zehntausende von Unitymedia-Kunden in Arnsberg und der gesamten Region zu einer neunstündigen Zwangspause bei Internet, Telefon und Fernsehempfang verdonnerte. Weil Freifunk über seine Router Internetanschlüsse der verschiedensten Provider zusammenschließt, blieb das Netz stabil. „Keiner kann das Netz abschalten, keiner kann Zensur üben, es ist einfach cool,“ freut sich Hans-Jörg Etzler.
Der nächste Schritt geht in die Höhe
Dicht und stabil ist das Netz also, der nächste Schritt soll jetzt in die Höhe gehen, so Daniel Wagner. Auf dem Glockenturm, dem Turm der Auferstehungskirche und dem Dach des Stadtarchivs im Kloster Wedinghausen sollen neue leistungsstarke Router angebracht werden. Dann kann das Netz wachsen – in die Altstadt, ins Eichholz, zum Ruhrtalradweg und in die Neustadt. Auch eine Verbindung bis nach Bergheim, wo es eine kleine Freifunk-Insel gibt, ist angedacht. „Aus dem Stadtteilnetz soll ein Stadtnetz werden,“ sagt Etzler. Nachdem der Verkehrsverein für eine Anschubfinanzierung gesorgt und die ersten Router angeschafft hat, konnte jetzt die Sparkasse als Sponsor für den weiteren Ausbau gewonnen werden. Aber auch neue Teilnehmer, die ihre Steckdose zur Verfügung stellen wollen, sind willkommen. Voraussetzung ist nur eine Sichtverbindung zu einem Router des Netzes. Der Aufwand ist gering. Ein handelsüblicher Router, der schon ab 15 Euro zu bekommen ist, und Stromkosten von geschätzt drei Euro im Jahr sind die einzigen finanziellen Belastungen, die auf neue Mitglieder zukommen. Eine moderne Software stellt automatisch nicht genutzte Internetkapazitäten des Teilnehmers dem WLAN-Netz zur Verfügung und macht es damit Schritt für Schritt leistungsfähiger. Das Freifunk-Netz hat aber auch eine soziale Komponente. Wer nicht genug Geld für einen eigenen Internetanschluss hat, kann sich ebenfalls per Router zuschalten und teilhaben.
Unendliche Möglichkeiten tuen sich auf
Das Netz kann aber mehr als nur den schnellen und kostenlosen Weg ins Internet anbieten. In der Wolke können gezielt Informationen Angeboten werden. So verspricht sich Heinz Hahn, Vorsitzender des Verkehrsvereins, ganz konkrete Vorteile für die Touristeninformation außerhalb der Öffnungszeiten der Geschäftsstelle am Neumarkt. Die Infotafeln, die der Verkehrsverein bisher aufgestellt habe, seien meist schon nach wenigen Wochen Opfer von Vandalismus geworden. Mit einem QR-Code im Schaufenster ließe sich das Problem elegant und effektiv lösen, der Ratsuchende bekomme schnell und gezielt die Informationen, die er suche. Für Sehenswürdigkeiten gilt das gleiche. Ohne lange im Internet zu suchen könnten sich Besucher zum Beispiel schnell darüber informieren, wie die „Krim“ am Alten Markt zu ihrem Namen kam, eine Frage, die angesichts der neuesten Krim-Krise so oft gestellt wird wie noch nie. Bei einer entsprechenden Größe der Wolke könnten sich dort sogar kostengünstiger sämtliche Informationen des Stadtarchivs unterbringen lassen. Angedacht ist auch ein Miniatur-Glockenturm am RuhrtalRadweg mit Öffnungen, durch die die Radfahrer ihre Köpfe stecken können. Die dort entstandenen Bilder könnten dann problemlos direkt in alle Welt gepostet werden. Auch Radio oder Filme in HD-Qualität gehören zu den unendlichen Möglichkeiten. „Wir wissen heute noch gar nicht, was wir alles machen können,“ ist Hans-Jörgg Etzler sicher.
Infos: www.freifunk-moehne.de